Kultur als Treibstoff für ganz Thayngen

Manchmal ist man froh, wenn schon wieder zwei Jahre vorbei sind: so am Freitagabend anlässlich der Vernissage der grenzüberschreitenden Biennale «Experimentelle». Noch bis zum 26. August stellen 13 Künstler ihre Werke im Kulturzentrum Sternen aus.

180723 SN Experimentelle

Vor den Werken von Werner Pokorny formiert sich ein Kunstkreis (von links): Armin Göhringer, Melanie Richter, Cornelius Hackenbracht, Titus Koch, Volker Rauwolf, Sarah Isabelle Dekoj, Daniel Erfle und Kay Kaul.

THAYNGEN. Der Mann mit Hut verlässt den Apéro riche im «Rossstall», offensichtlich will er sich noch einmal in aller Ruhe die Kunstwerke im ersten Stock anschauen. Wenn das kein Künstler ist. Vor der Treppe bleibt er unvermittelt stehen. «Dieser Raum ist der allerschönste», erklärt er, «welche Geschichten diese Tür erzählen könnte.»

Das Erstaunliche ist nicht seine Aussage. Das Kulturzentrum Sternen wird von vielen als magischer Ausstellungsort, als Geschichtenerzähler erster Güte wahrgenommen. Erstaunlich ist: Dido Schosser stellt nicht in Thayngen aus, sondern wie Katharina Bürgin auf Schloss Ulmerfeld im österreichischen Amstetten. Er ist mit dem Zug von Friedrichshafen nach Thayngen gefahren, um zu sehen, was seine 13 Künstlerkolleginnen und -kollegen präsentieren. Besonders angetan haben es ihm die Werke von Melanie Richter, die wie Kay Kaul für die Vernissage aus Düsseldorf angereist ist.

Treffen möchte Dido Schosser auch Kollega Cornelius Hackenbracht, der ebenfalls nicht in Thayngen ausstellt, sondern in Wald-Ruhestetten (Landkreis Sigmaringen), wo vor einer Woche der dritte Teil der «Experimentelle» eröffnet worden ist.

Gelungene Auswahl

Tatsächlich hat sich die «Experimentelle» in dreissig Jahren zur «grössten grenzüberschreitenden Kunstausstellung in Europa» entwickelt, wie Gemeindepräsident Philippe Brühlmann in seiner Begrüssung ausführte. An sechs Ausstellungsorten in vier Ländern nehmen 79 Künstlerinnen und Künstler teil. Und es könnten noch etliche mehr sein. Titus Koch, Schlossherr zu Randegg, hat als Gründer und Spiritus Rector der «Experimentellen» zusammen mit dem hinter ihm stehenden Förderkreis für Kultur und Heimatgeschichte Gottmadingen (Fökuhei) aus 320 Bewerbungen auswählen können. Der Gang durch die Ausstellungsräume und der Blick in die Gesichter der Kunstbetrachter bestätigen, dass die Auswahl bestens gelungen ist.

Auf einen taktischen Fehler sei allerdings hingewiesen: Kein Schaffhauser Künstler, kein Schweizer stellt in Thayngen aus, und dementsprechend glänzten die Stadtschaffhauser weitgehend mit Abwesenheit. So richtig aufgefallen ist dies nicht, denn die Vernissage war trotzdem vorzüglich besucht. Neben deutschen Gästen, die, soweit überprüfbar, unisono versicherten, wieder einmal nach Thayngen kommen zu wollen, waren erfreulich viele Einheimische in den «Sternen» gekommen. Angeführt von Kunstkurator Paul Ryf und Kulturvereinspräsident Stefan Zanelli haben sie erkannt, um den Gemeindepräsidenten zu zitieren, dass «Thayngen die Kultur als Vitamin, als Treibstoff benötigt» und gerade die «Experimentelle» geeignet ist, solchen Treibstoff zu liefern.

Sich auf eine Begegnung einlassen

Allerdings darf die Gemeinde Thayngen, historisch betrachtet nicht zuletzt dank Arnold Sigg und Bruno Ranft, für sich in Anspruch nehmen, die «Experimentelle» erst zu dem gemacht zu haben, was sie heute ist. Gerne hörte man, dass dies von Vernissageredner Albert Kümmel-Schnur, Universitätsprofessor aus Konstanz, bestätigt wurde. Der Schritt über Randegg hinaus nach Thayngen habe die «Experimentelle» zu einem internationalen Ereignis gemacht und sie nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verbessert, auch wenn das künstlerische Netzwerk in einer Konsolidierungsphase nur aus zwei Knoten bestanden habe. Und als Quintessenz seiner
musikalisch von Madeleine Heggli umrahmten Rede machte Kümmel-Schnur allen bewusst, dass sie selbst Bestandteil der Kunstausstellung sein können, wenn man sich auf eine Begegnung mit den Kunstwerken – und dem Katalog, der selbst ein gelungenes Kunstwerk darstellt – einlasse.

Dies ist noch bis zum 26. August an allen Wochenenden (Samstag/Sonntag, 13 bis 17 Uhr) oder auf Anfrage möglich.

Weitere Artikel zum Thema:

Arnold Sigg im „Thaynger Anzeiger“

Daniel Thüler im „Schaffhauser Bock“