Johann Conrad Peyer: Ein Poet als scharfer Kritiker des korrupten Schaffhausen

Am 13. Dezember vor 250 Jahren starb Johann Conrad Peyer, der bedeutendste Schaffhauser Dichter des 18. Jahrhunderts.

Ach, was willst du dich erheben?
Unser Leben
Fleucht dahin wie Rauch und Duft.
Beide müssen bald entstehen,
Bald vergehen,
Alles schwindet, wie die Luft.
Wahrlich: Leben, Lust und Schein,
Werden kurz und neblicht sein.

Auf diese Zeilen stösst auf dem Südranden, wer aufmerksam dem 2001 eröffneten und Ende des letzten Jahres renovierten Schaffhauser Dichterpfad entlangwandert. Geschrieben hat das Gedicht «Über die Kürze des Lebens» Johann Conrad Peyer, dessen kurzes Leben genau heute vor 311 Jahren, am 13. Dezember 1707, in Schaffhausen begann. Sein
Lebenskreisschloss sich just an seinem Geburtstag – und damit vor 250 Jahren.

Ihr kennt Schaffhausen wohl,
Allwo des Rheins Gewalt
Den allerersten Sturm
Mit spitzen Klippen waget,
Stark schäumt, sich brausend türmt,
Und brüllend rückwärts fällt,
Bis der erhitzte Strom
Zuletzt den Pass erjaget,
Wodurch er rauschend dringt,
Sich eilend niederdrückt,
Und seine Wirbel-Flut
Mit Murmeln weiter schickt.

Mag sein, dass es aus heutiger Sicht bessere Rheinfalllyrik gibt als jene Peyers, doch war er 1730 einer der Allerersten, der den Rheinfall überhaupt als einer Beschreibung würdig erachtete. Auch diese Zeilen, ursprünglich integriert in ein Hochzeitsgedicht, findet man auf dem Dichterpfad.

Um seinem Empfinden wirklich gerecht zu werden, müsste man aber auch noch eine Tafel in Ramsen anbringen. Dorthin, auf das Schloss Wiesholz, zog sich der Stadtschaffhauser so oft als möglich zurück. Hier, auf dem Landsitz seiner Familie, konnte er «durch Kiel und Buch» zu sich selbst finden. Davon berichtet er beispielsweise in «Lob des Landlebens», in dem er den Bauernhof «ein freyes Königreich» nennt.

Mehr als nur Naturlyrik

Johann Conrad Peyer geht aber über die reine Naturlyrik eines Barthold Heinrich Brockes, den er schätzte, weit hinaus. Beeinflusst vom Philosophen Christian Wolff, einem Verfechter des Naturrechts, den er während seines Jurastudiums in Marburg kennengelernt hatte, kritisierte Peyer in seinen Satiren die Unnatur der Stadt – und damit unverhohlen Schaffhausen. Hier herrschten ein umständliches Regierungssystem, Vetternwirtschaft, Ämterjagd und Stimmenkauf, hier gab man für Schein und Besitztum seine Freiheit auf.

Mein Freund, wie heisst der Staat, wo Redlichkeit verscheuchet,
Und nur der Böswicht gilt, der vor den Grossen schleichet?
Wo man die Kunst versteht durch schlaues Processieren,
Die Diebe zu befreyen und Huren zu laviren (…)?
Wo man das Urtheil nur zu Gunst der Vettern spricht;
Und oft der dümmste Kopf hoch sitzed im Gericht, (…)
Wo man des Eides lacht und nur zum Scherz ihn leistet?
Wo Alles ungestraft zu stehlen sich erdreistet,
Der Staat ohn’ innern Werth, und der nur glänzt von aussen?
Mein Freund, was räthst du lang? Kennst du denn nicht Schaffhausen?

Die mehr oder weniger poetisch und alles andere denn diplomatisch vorgetragene Kritik wog umso schwerer, als sie von einem Vertreter der vornehmsten Familien, einem Peyer mit den Wecken, geäussert wurde – sein gleichnamiger Grossvater war ein europaweit bekannter Arzt und Forscher gewesen. Das kam, wen wundert’s, nicht gut an. Nur mit Mühe konnte er einer Gefängnisstrafe entgehen, und seine – ohnehin nicht angestrebte – Ämterlaufbahn erschöpfte sich 1736 mit dem Einsitz als Urteilsprecher im städtischen Gericht und 1741, für kurze Zeit nur, im Grossen Rat.

Man kann Peyer als Aufklärer, als Vorkämpfer der Gleichberechtigung des städtischen Individuums und auch der Landschaft ansehen. Ob er aber den morsch gewordenen Zunftstaat abschaffen wollte, ist eher fraglich, vielmehr wollte er ihn, sich an den Tugenden der alten Eidgenossen orientierend, von Grund auf erneuern.

Seine ehrliche Haltung war seinen Finanzen abträglich, ohne dass man bis jetzt Genaueres über seine Biografie wüsste. Just in jener Zeit, als 1748 seine Sammlung «Deutsche Gedichte» herauskam, musste er Schloss Wiesholz veräussern. 1751 erlitt er mit dem Tod seiner Frau Sabine Peyer von der Meise und einer Tochter einen weiteren persönlichen Rückschlag. Peyer soll zwar weiterhin fleissig gedichtet haben, aber publiziert wurde nichts mehr, und sein handschriftliches Spätwerk scheint vollständig verloren gegangen zu sein.

Umfassende Würdigung steht noch aus

So bleibt zur Beurteilung seines dichterischen Talents letztlich nicht viel mehr als ein 250-seitiges Werk, das leider bis heute nie nachgedruckt wurde. Albrecht von Haller, damals noch in Göttingen lehrend, nahm «Deutsche Gedichte» recht wohlwollend zur Kenntnis.

Dem stand eine polemische Kritik Johann Jakob Bodmers gegenüber. Objektivität war allerdings nicht dessen Sache, Bodmer war nämlich beleidigt, weil sich der Schaffhauser erdreistet hatte, im damaligen Literaturstreit der Schweizer Dichter mit dem Leipziger Kreis um Johann Christoph Gottsched eine neutrale Haltung einzunehmen – und Neutralität war in einem solchen Falle aus der Sicht Bodmers schlicht nicht angebracht.

Um die dichterische Leistung des «kecken und manchmal hitzigen Gesellen» (Emil Ermatinger) wirklich würdigen zu können, wäre eine moderne literaturwissenschaftliche Analyse wünschenswert. Ein 1926 erschienener Aufsatz von Johannes Winzeler und die 1956 beim Historischen Verein publizierte Kurzbiografie deuten an, dass sich das lohnen würde. Letztere wurde übrigens von Ernst Schellenberg verfasst, dem langjährigen Redaktor der «Schaffhauser Nachrichten» und nachmaligen Stadtbibliothekar, dessen eigene literarische Fähigkeiten ebenfalls in Vergessenheit zu geraten drohen.

In den „Deutschen Gedichten“ sind die besten Werke einer 20jährigen literarischen Tätigkeit enthalten. Aufnahme: Stadtbibliothek Schaffhausen