«In 20 Jahren ist Krebs eine chronische Krankheit»

Bereits zum zehnten Mal wurden im Februar die Tumortage Winterthur durchgeführt, ein beispielhafter, optimistisch stimmender Patientenkongress mit zahlreichen Workshops und Fachvorträgen.

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Jährlich erkranken in der Schweiz rund 39500 Personen an Krebs. Dem stehen 16400 auf Krebs zurückzuführende Todesfälle gegenüber (siehe Kasten). Das ist, keine Frage, eine hohe Zahl. Doch gleichzeitig bedeutet dies auch, dass es mittlerweile 58,5 Prozent der Betroffenen gelingt, ihre Krebserkrankung dauerhaft zu überleben.

Die in den letzten zehn Jahren dank Forschung und verbesserter interdisziplinärer Zusammenarbeit erzielten Fortschritte sind frappant – und wurden in den Fachvorträgen der 10. Tumortage Winterthur in verständlicher Form aufgearbeitet.

Zusammenarbeit trotz Spitalwettbewerb

Als Patientenkongress mit jeweils weit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern stellen auch die Tumortage Winterthur selbst eine wichtige Pionierleistung dar. Die Idee dazu kam zwei Ärzten des Kantonsspitals Winterthur 2007 im Rahmen eines Lungenkrebs-Weltkongresses in Seoul. Warum nicht zu Hause etwas Ähnliches für Patientinnen und Patienten organisieren? Mit ihrem Projekt stiessen Prof. Dr. med. Miklos Pless, Leiter des Tumorzentrums Winterthur, und Dr. med. Urs R. Meier, Direktor und Chefarzt der Klinik für Radio-Onkologie, bei den benachbarten Spitälern auf offene Ohren. Bis heute. Trotz des erheblichen Aufwands sind neben der Krebsliga auch die Spitäler in Bülach, Schaffhausen, Wetzikon und Uster immer noch mit grossem Enthusiasmus dabei; mit dem Ze TuP Rapperswil und dem Zentrum für Radiotherapie Rüti sind sogar weitere Partner hinzugestossen. Das ist – im 2012 ausgerufenen Zeitalter des Spitalwettbewerbs – eine bemerkenswerte Zusammenarbeit.

Patienten bringen sich ein

Bei den Workshops konnten sich die Patientinnen und Patienten während jeweils anderthalb Stunden zu ganz verschiedenen Themen konkret einbringen, so beispielsweise am interdisziplinären Tumorboard der Spitäler Schaffhausen, wo die Gynäkologin Dr. med. Katrin Breitling, der Radiologe Dr. med. Stefan Seidel und der Onkologe Dr. med. Giannicola d’Addario zusammen mit Patientinnen und Patienten anhand konkreter, anonymisierter Fälle über Diagnosen und mögliche Therapieformen diskutierten.

Menschen sind nicht ersetzbar

Im zweiten Teil der Tumortage wagten die Mediziner einen Blick zehn, zwanzig Jahre voraus. «Braucht es dann überhaupt noch Chirurgen?» fragte sich beispielsweise Prof. Dr. med. Stefan Breitenstein, Chefarzt und Direktor Departement Chirurgie am KSW. Er konnte sich selber beruhigen: Tumore werden auch in Zukunft nicht ausschliesslich medikamentös behandelbar sein und selbst lernfähige Computer, die im Zeichen des Fachkräftemangels wertvolle Assistenten werden, können den Menschen nie vollständig ersetzen. «Empathie, Kreativität und Flexibilität sind menschliche Eigenschaften, die der Roboter nicht wird leisten können», versicherte Breitenstein. Hingegen werde die Knopflochchirurgie weitere Fortschritte erzielen. Die Operationen werden noch weniger belastend, Hospitalisation und Rehabilitation dauern noch weniger lang. «Man wird künftig Menschen operieren, bei denen jetzt das Risiko als zu hoch erscheint. Die Grenzen verschieben sich.»

Strahlenimmunologie wird bedeutend

Urs Meier wies darauf hin, dass das zunehmende Verständnis für immunologische Prozesse sich positiv auf das neue Gebiet der Strahlenimmunologie auswirken wird. Urs Meier: «Mit einer kleineren Dosis wird man eine bessere Wirkung erzielen beziehungsweise mit einer höheren Tagesdosis die Therapiedauer verkürzen. Auch Wiederbestrahlungen werden möglich sein.»

Riesige Datenmengen positiv nutzen

Miklos Pless wiederum betonte, dass man zwar relativ wenige neue Medikamente haben werde (ausser solchen gegen Resistenzen), diese aber dank des besseren Verständnisses der Wirkmechanismen gezielter und erfolgreicher einsetzen könne. Wie seine Vorredner strich er die Auswirkungen der riesigen zur Verfügung stehenden Datenmenge hervor. Die Diagnosen und Therapien werden dadurch noch individueller.

«Ich bin zuversichtlich, dass es gelingt, Krebs in eine chronische, das heisst nicht mehr zum Tod führende Krankheit zu verwandeln. Dabei wird nach Abwägen von Risiken und Chancen der Patient noch ausgeprägter als heute schon die ihm zusagende Therapie selber bestimmen», meinte Pless zusammenfassend.

Abschliessend gilt es festzuhalten, dass an den Tumortagen trotz des ernsthaften Themas beste Stimmung herrschte und immer wieder gelacht und Optimismus ausgestrahlt wurde.

Kasten: Kissen mit Herz

Der zum fünften Mal verliehene Preis der Tumortage Winterthur geht an Kathrin Kurth aus Märwil für ihre Aktion «Kissen mit Herz». «Als ich im Juni 2010 erstmals von einer deutschen Freundin von diesen Herzkissen für Brustkrebspatientinnen hörte, liess mich diese Idee nicht mehr los. Ich wollte sie unbedingt auch in der Schweiz realisieren, hätte aber nie gedacht, dass ich am Anfang so viel Desinteresse, Skepsis oder gar Widerstand würde überwinden müssen», erklärt die überglückliche Preisträgerin. «Erst im Juli 2011 liess sich eine Breast Care Nurse des Kantonsspitals Baden für meine Kissen begeistern.»

Dabei ist die Idee bestechend einfach und die Umsetzung vergleichsweise billig. Kathrin Kurth: «Um den frisch operierten Frauen eine schöne Unterstützung zu geben und den Druck auf die Brust zu verringern, nähen wir Herzkissen mit langen Ohren. Sie haben eine bequeme Form, passen schön unter die Achselhöhle und entlasten damit die sensible Stelle. Und eine kleine Solidarität von Frau zu Frau tut einfach gut.»

Mittlerweile aber läuft das Projekt auf Hochtouren. Kathrin Kurth betreut rund zwei Dutzend Spitäler und hat mit freiwilligen Näherinnen bereits über 5300 Kissen genäht und abgegeben. An verschiedenen Orten, insbesondere in Lausanne, haben sich zudem selbstständig agierende Teams gebildet.

Mehr Informationen unter http://kissenmitherz.blogspot.com