Fragen, Rätsel und Geheimnisse rund um Neunkirch

Im Kulturerbejahr 2018 lud der Neunkircher Gemeindepräsident Ruedi Vögele die Bevölkerung zu zwei Vortragsabenden mit dem Titel «450 Jahre Gemeindehaus Neunkirch, 220 Jahre Neunkircher Kongress» ein.

Von Daniela Affolter, Klettgauer Bote

180901 Artikel KB Planstadt Neunkirch

Von links: Kurt Bänteli, Mittelalterarchäologe (Schaffhausen), Peter Jezler, Kunsthistoriker (Schaffhausen), Heinz Michel, dipl. Architekt ETH (Neunkirch) an der zweiten Vortragsreihe im Gemeindehaus Neunkirch. (Bild: mad)

Neunkirch Am zweiten Abend mit drei Referenten stand nicht mehr das 450 Jahre alte «Gmaandhuus» im Mittelpunkt. Vielmehr war es das Städtli selber, das in den Fokus rückte.

Der Bankettsaal des Gmaandhuus8213 war am Donnerstagabend einmal mehr gut besucht. Viele Anwohner und Interessierte kamen zur zweiten Vortragsreihe mit den Referenten Peter Jezler, Kunsthistoriker, Heinz Michel, dipl. Architekt ETH und Kurt Bänteli, Mittelalterarchäologe.

In drei Vorträgen wurde über den Städtebau im Mittelalter referiert. Eine Frage beschäftigte besonders: Wieso wurde Neunkirch im 13. Jahrhundert als Planstadt erbaut? Das erste Referat trug den Titel «Die Bedeutung von Neunkirch in der Geschichte der Planstädte Europas». Peter Jezler legte mit seinen Ausführungen die Grundlage für die anschliessenden Präsentationen. Er erklärte die vier Typen von Städten und wie und wo sie im Mittelalter gebaut wurden. In frühen Zeiten war die Städteplanung im Wesentlichen durch Wasser bestimmt. Es gab die «See-End-Städte», wovon Zürich eine ist. Dann gab es See-Städte wie Nyon, Lausanne oder Murten. Wasserwege waren immer ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Brugg, Basel oder Aarau lagen als Fluss-Städte ebenfalls an Wasserstrassen. Schon die Römer wählten diese Toplagen für den Bau ihrer Städte. Ein vierter Typus bilden die Kloster-Städte, wie zum Beispiel St. Gallen, die wirtschaftlich schon früh von grosser Bedeutung waren. Unüblicher waren Reissbrett-Städte, fernab von Wasser und ohne Kloster. Neunkirch ist in dieser Hinsicht besonders. «Es findet sich kaum ein anderes Beispiel in Europa in dieser Klarheit», so Jezler.

Neunkirch hat ein Geheimnis

Heinz Michel aus Neunkirch fasziniert das «Rechteck» auf der Landkarte schon lange. Seine Idee, dass es mit dem Bauplan eine bestimmte göttliche Ordnung hat, stammt aus der Zeit der Gotik. In seiner Power-Point-Präsentation, die alle Anwesenden selber lesen durften, ging es um «Das Entstehen der gotischen Stadtgeometrie von Neunkirch». Wie das Phänomen des Jahrhunderte überdauernden Rechtecks von Neunkirch zu deuten ist, kann die heutige Städtebauforschung nicht erklären, meinte
der Architekt. Beeinflusst wurde der Gründer des Städtchens, der Bischof von Konstanz, offenbar von seinen französischen Nachbar-Bischöfen, die gotische Kathedralen bauten. Michel meint, dass in der Zeit, als Neunkirch gegründet wurde, die ersten massstabgetreuen Architekturzeichnungen entstanden sind. Der Baumeister von Neunkirch könnte mit der neuen Technik vertraut gewesen sein.
Die kleine Stadt soll nach mathematisch-geometrischen Berechnungen erbaut worden sein. Auch eine besondere symbolische Bedeutung der Stadt, als irdisches Abbild eines idealen jenseitigen Zustands, schliesst Heinz Michel nicht aus. Bis jetzt fehlen sowohl schriftliche Überlieferungen sowie auch archäologische Gutachten, die einen Hinweis darauf geben könnten.

Planstadt versus «bunter Salat»

«Den Letzten beissen die Hunde», mit dieser Redewendung leitete Kurt Bänteli nach der Pause den dritten Teil ein. Der Mittelalterarchäologe aus Schaffhausen sprach über die Stadtanfänge in Neunkirch, Schaffhausen und Stein am Rhein. Im Vergleich zu Neunkirch war Schaffhausen eher wie ein «bunter Salat» und nicht geplant, sondern mit der Zeit entstanden. Stein am Rhein war zwar geplant, aber viel weniger geometrisch.

Auch für die Archäologen ist Neunkirch, ohne Diskussion, eine Planstadt. Scheinbar war der Platz mit seinen herausragenden finanziellen Perspektiven optimal. Neunkirch wies damals mit 400 Mark Silber den höchsten Anteil an Getreidezinsen von Weizen und Hafer im gesamten Bistum Konstanz auf. Archäologische Untersuchungen konnten bisher an ein paar wenigen Gebäuden durchgeführt werden.

Das älteste Gebäude steht an der Oberhofgasse 2 und wurde 1263 errichtet. Ein anderes ist das Haus «Winkel» (heute Alters- und Pflegeheim Im Winkel) aus dem Jahr 1277, 1572, 1573 oder doch später? Des Rätsels Lösung, wann denn genau der Obertorturm gebaut wurde, hatte Bänteli auch parat. «Offenbar haben die Neunkircher den Turm, im Übermut der Ausstrahlung des neuen Gemeindehauses, ohne Bewilligung der zuständigen Schaffhauser Obrigkeit gebaut.» Ganz zum Schluss wurde noch die Frage in die Runde geworfen: «Wie geht’s weiter mit der Baugeschichte von Neunkirch in den nächsten 758 Jahren?» (mad)