Einst grösster Arbeitgeber im Reiat

Anwohner Werner Bührer beim Trafoturm, wo die Gedenktafel zur Geschichte der Ziegelfabrik hinkommt.

180301 Artikel im Magazin SH-Wirtschaft

Die 1861 gegründete Ziegelfabrik Hofen beschäftigte bis zu 120 Personen. Die Arbeitsgemeinschaft Pro Unterer Reiat wird am 9. September 2018 eine Gedenktafel enthüllen, um an dieses Pionierunternehmen zu erinnern.

TEXT ANDREAS SCHIENDORFER BILD LUISA KEHL

Mit der Grossherzoglich Badischen Staatseisenbahn von Basel nach Konstanz erhielt Thayngen 1863 seinen Bahnanschluss. Trotzdem stand die Gemeinde einer Industrialisierung skeptisch gegenüber. Immerhin eröffnete sie ein stattliches Korn- und Kaufhaus. Als regionales Handelszentrum sollte es Verdienst und Arbeitsplätze bringen, doch schon drei Jahre später fand dort ein letzter Kornmarkt statt. Der Repräsentationsbau wurde 25 Jahre lang mehr oder weniger sinnvoll zwischengenutzt, ehe 1891 eine Schuhfabrik und 1907 die «Knorri» einzog.

Im Gegensatz dazu blieben die allerersten Thaynger Fabriken Kleinunternehmen: 1873 eröffneten Johannes Toggenburger und Caspar Naegeli eine Rosshaarfabrik, 1876 folgte Robert Heinrich Suter mit einer Schlauch- und Gurtenweberei. Gemäss einer verlässlichen Statistik von 1889 beschäftigte die eine Fabrik sieben Arbeiter, die andere 14.

Grösster Arbeitgeber im Kanton war laut der gleichen Quelle die Kammgarnspinnerei mit 409 Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeitern, gefolgt von der Waggonfabrik (SIG) mit 362 sowie Georg Fischer mit 230. An zwölfter Stelle finden wir, als wichtigster Arbeitgeber ausserhalb von Schaffhausen und Neuhausen, die Ziegelfabrik Hofen mit 75 Arbeitern, zu denen einige dem Fabrikgesetz nicht unterstellte Bürolisten hinzukamen. Später waren es sogar 120.

Das ist so unglaublich, dass es wiederholt werden muss: 1889 (und in den Jahren zuvor) hatte Hofen mit 118 Einwohnern eine Ziegelfabrik mit 75 bis 80 Mitarbeitenden, das genau zehnmal grössere Thayngen trotz Bahnanschluss lediglich zwei Firmen mit total 21 Arbeitern.

STEIGENDER BEDARF AN ZIEGELEIPRODUKTEN

Im gesamten 19. Jahrhundert bestand im Zeichen des verbesserten Brandschutzes ein erhöhter Bedarf an Backsteinen und Ziegeln. Die voranschreitende Industrialisierung liess die Nachfrage weiter ansteigen. In den meisten Schaffhauser Gemeinden mit Lehmvorkommen entstanden deshalb Ziegeleien. Gab es 1800 fünf Ziegeleien, so waren es knapp hundert Jahre später 18 Betriebe.

Auch in Hofen war 1834 von Johannes Bührer-Steinemann eine Ziegelei eingerichtet worden. Ausser in der Stadt Schaffhausen – Ziegler’sche Thonwarenfabrik – lässt sich einzig in Hofen eine Weiterentwicklung zum Fabrikbetrieb feststellen. In Thayngen fehlte der von einem Grenzgänger betriebenen Ziegelhütte das nötige Fachwissen, in Lohn mangelte ein Wasserlauf und damit die ab einer bestimmten Betriebsgrösse unabdingbare Energiequelle.

Ausschlaggebend in Hofen war allein der Pioniergeist des Sohnes des Ziegeleiinhabers. Jacob Bührer-Bührer hatte bereits als Knabe mitgearbeitet und sich darüber geärgert, wie viel Energie ungenutzt ins Leere verpuffte. Zwar wurde er Lehrer, doch letztlich war die Erfindung eines effizienten Brennofens mit optimaler Energienutzung sein grosses Berufsziel.

Die heute noch sichtbare Trafostation bei der Ziegelfabrik wurde 1909 gebaut. Bild: Archiv Photo Koch

1859 tat sich Jacob Bührer mit Fritz Zündel als Finanzpartner zusammen, kaufte das für den Fabrikbau nötige Land und liess zur Nutzung der Wasserkraft der Biber einen mehrere Hundert Meter langen Kanal zum Fabrikgelände bauen. Unmittelbar vor der Eröffnung der Ziegelfabrik 1861 stieg Zündel aus – das Unternehmen startete überschuldet und konnte dieses Manko trotz gutem Absatz nicht wettmachen, da die Produkte keine hohen Gewinnmargen zuliessen. 1865 retteten vier Reiater das Unternehmen, während der Firmengründer nach Deutschland ging und schliesslich in Konstanz als Spezialist für optimale Wärmenutzung ein angesehenes Ingenieurbüro für Brennöfen eröffnete.

BANKHAUS ZÜNDEL ALS GROSSINVESTOR

Nach dem zuletzt unvermeidlichen Konkurs kaufte Privatbankier Ulrich Zündel 1870 die Ziegelfabrik Hofen, um seine Kredite zu retten und das Entwicklungspotenzial der Firma auszunutzen. Zu Beginn der 1880er-Jahre investierte er kräftig in die Modernisierung der Anlagen. Erst 1889 liess er in Thayngen ein neues Hauptwerk errichten, wonach das Unternehmen als Vereinigte Ziegelfabriken Thayngen und Hofen, Zündel & Cie. firmierte. 1904 expandierte Zündel durch Kauf einer Ziegelfabrik in Rickelshausen bei Radolfzell in den süddeutschen Raum.

Das Bankhaus Zündel hatte jedoch zu viel Kapital in die Vereinigten Ziegelfabriken investiert und ging 1914 aufgrund eines Liquiditätsengpasses in Konkurs. Die kurz zuvor in eine AG umgewandelten Ziegelfabriken überlebten und behielten, später als Tonwerke Thayngen, unter Leitung der Familie Schaefle ihre Bedeutung.

Das Mutterwerk Hofen allerdings wurde 1916 aufgegeben. Im Nachhinein stellt sich die Frage, wieso man das abseits gelegene Werk nach Eröffnung der Thaynger Fabrik trotzdem noch 27 Jahre weitergeführt hatte. Neben einer personell bedingten Standorttreue war wohl der Glaube an eine verbesserte Verkehrsanschliessung entscheidend: Im Zusammenhang mit der geplanten Gotthardbahn lag bereits 1873 die Betriebskonzession für eine Bibertalbahn vor; erst Mitte der 1920er-Jahre wurde dieses Projekt aufgegeben. Heute kann man nur noch rätseln: Was wäre, wenn …